... und jetzt liefen ihr doch die lang unterdrückten Tränen über die Wangen. Ihre Fluchtgedanken hatten unweigerlich auch die Gedanken an die Heimat geweckt. An das kleine Haus ihrer Großmutter, an ihre letzte Nacht mit Kai, an seinen verwirrenden, langersehnten Antrag ..... Lena vergrub ihr Gesicht in den weichen Seidenkissen ihres Diwans und weinte bitterlich, während Merits Salbe einen hässlichen Fleck auf der teuren Wäsche hinterließ. Vorsichtig legte sich eine sanfte Hand auf ihre Schulter. In der Annahme es sei Merit, die doch noch einmal zurückgekommen sei, drehte Lena leicht ihren Kopf und schmiegte trostsuchend ihre heile Wange an die warmen Finger. Dann fuhr sie erschrocken zurück und setzte sich auf, denn diese feingliedrige und doch kräftige Hand war keine Frauenhand. Es war Retenu, ihr „Herr“. In Lena sträubte sich alles, dieses Wort auch nur zu denken. Aber er saß nun einmal da auf ihrem Diwan und sie mußte wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machen, solange sie keinen Ausweg aus dieser unmöglichen Situation gefunden hatte. Retenu hatte seine Hand zurückgezogen und sah sie enttäuscht an. Er konnte wohl auch kaum die gegensätzlichen Gefühle verstehen, die seine Anwesenheit in Lena auslöste, verstand sie die meisten davon ja selbst kaum. Er machte ein paar Gesten, die Lena aber nicht verstand. Dann deutete er Lena ebenfalls mit Gesten an, einen Augenblick zu warten. Er verließ den Raum nur um kurz darauf wieder zu erscheinen mit einem Block und einem Bleistift in der Hand. Er nahm wieder auf dem Diwan neben Lena Platz. Eilig kritzelte er ein paar Sätze auf das Papier und schob den Block samt Bleistift dann Lena hin. Lena blinzelte überrascht, denn da stand tatsächlich in perfektem Deutsch geschrieben: „Kleine Katze, ich bitte dich sehr mir nicht böse zu sein. Ich hatte keine Ahnung, was mein Vater im Sinn hatte, als er mir erzählte, daß er mir ein ganz besonderes Geschenk machen wolle. Vielleicht können wir uns ja besser kennenlernen und bis dahin freundschaftlich miteinander umgehen?“ Lena wußte nicht, weshalb er ihr den Namen „Kleine Katze“ verpaßt hatte, aber im Moment war ihr das auch ziemlich egal. Was sie jetzt sagen würde war unvernünftig und utopisch, daß war ihr klar, aber sie konnte den Impuls diese Forderung zu stellen einfach nicht unterdrücken. „Retenu, wenn du meine Freundschaft willst und meine Dankbarkeit, dann schenk mir meine Freiheit. Kein Mensch ist dazu geboren eines Anderen ...
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