… Nur wenige ließen ihren Blick zwischen der stark besetzten Galerie und den Wärtern im Raum hin und her huschen. „Ich bin wohl spät dran.“ höhnte Sam in Brutus’ Richtung. Brutus erwiderte ihren Blick. Keine Gefühlsregung ließ sich auf seinem Gesicht ablesen. „Los, Scherenlady, ausziehen, duschen, du hältst den Verkehr auf.“ Vom Oberrang tönte schallendes Gelächter. Brutus’ Wortwitz traf wohl den Geschmack des durchschnittlichen Gefängniswärters. Sam verschränkte trotzig die Arme. „Nein.“ Brutus legte mit einer geschmeidigen Bewegung die Hand auf seinen Schlagstock. Sein Kollege, der Sam anerkennend zugepfiffen hatte, als er sie nackt vor ihrem Waschbecken gesehen hatte, legte eine Hand auf Brutus’ Unterarm. „Lass gut sein, die Lady hat sich eben noch gründlich gewaschen.“ Brutus starrte Sam an. „Zieh dich aus.“ Sam maß ihn arrogant von oben bis unten. „Nein.“ Brutus zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Was soll’s, werden die Männer besorgen.“ Er wandte sich ab. 40 Männer betraten den Raum. Erfreut sah Sam, dass Jefe wie vereinbart einen Ghettoblaster trug. Er grinste ihr wölfisch zu und rieb mit der freien Hand Daumen und Zeigefinger aneinander. Sam fiel ein Stein vom Herzen – zumindest vier Männer hatten Jefe bezahlt, damit er sie in seine Gruppe aufnahm. Brutus wiederholte sein Ritual mit der Uhr und verließ nach zwei Minuten den Raum. Jefe hatte vier Männer um sich geschart, die Sam erwartungsvoll ansahen. Brutus’ Reibeisenstimme ertönte hoch oben auf der Galerie. „Showtime“
Sam sah zu Jefe und deutete mit ihrem Kopf auf die gestapelten Stühle. Auch die restlichen Männer sahen in ihre Richtung, niemand hetzte den kreischenden Frauen hinterher. Vom Oberrang erscholl verwundertes Stimmengemurmel. Die vier zahlenden „Gäste“ und Jefe setzten sich eilig in Bewegung. Sam streifte ihre Schuhe von den nackten Füßen und ging langsam zur äußeren Stahlstütze. Sie umschloss mit beiden Händen die glatte Oberfläche. Die Stange war dicker als die, an denen Sam in Smittis und Jos Läden getanzt hatte. Trotzdem war es ein vertrautes Gefühl. Als Sam den Kopf hob, hatte sich ihr Publikum brav in einem Halbkreis vor ihr versammelt. Die Zeit lief. Noch immer standen die restlichen Gefangenen unschlüssig herum. Jefe betätigte den Startknopf und die ersten Takte von „Lady Marmelade“ schollen durch den Raum. Jahrelang hatte Sam ihre Choreografie zu diesem Song ausgefeilt. …
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