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Lena kam die Zeit endlos vor, in der sie nichts von Retenu hörte. Dann kam eines Tages ein Diener des Schaichs und überbrachte ihr die Nachricht, daß sie an diesem Abend tanzen müsse. Lena war beinahe euphorisch, denn sie hoffte, daß Retenu im großen Saal anwesend sein würde. Merit kam vorbei, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Lena war so aufgeregt, dass sie nicht stillsitzen konnte, während die Nubierin sie herrichtete und diese sie schalt: „Ein Sack voller Flöhe wäre leichter ruhigzuhalten als du! Sitz still, sonst werden wir nie fertig!“ Würde Retenu da sein? Würde sie ihn mit ihrem Tanz versöhnlich stimmen können? Würde er sie überhaupt beachten, oder würde wieder dieser distanzierte Blick in seinen schwarzen Augen sein? Merit gab sich besondere Mühe mit Lenas Aussehen, denn sie wußte wohl, was diese im Schilde führte. Zufrieden betrachtete sich Lena später im Spiegel. Sie trug eine weite Hose aus durchscheinendem, goldfarbenen Gaze. Der breite Bund umschloß eng ihre Hüften und war mit Perlen verziert. Das knappe goldene Oberteil war ebenfalls mit Perlen bestickt und ihr Haar fiel offen bis fast zur Taille herab. Je eine einzelne große Perle hatte Merit kunstvoll an Lenas Nabel und an ihrer Stirn befestigt. Wenig später betrat Lena, von Merit begleitet, den großen gewölbten Saal, in dem die Gäste sie schon erwarteten. Es hatte sich in Assuan herumgesprochen, daß Schaich Assiz eine ganz besondere Tänzerin besaß und der Schaich betrachtete Lena nicht ohne Stolz, als sie in den Raum trat. Die Gebote, die er für sie bekommen hatte, überstiegen weit den üblichen Preis für Tänzerinnen; doch im Hinblick auf seinen Sohn hatte er alle Angebote vehement ausgeschlagen. Der Schaich besaß außer Lena keine Sklaven mehr. Als Kopte (ägypt. Christ) hatte er schon lange den Sklaven aus seinem Haushalt die Freiheit geschenkt, wobei die meisten davon dann als Diener in seinem Hause geblieben waren. Die Trommel begann ihren Rhythmus und Lena hatte noch kurz Zeit sich umzublicken. Enttäuscht stellte sie fest, daß Retenu nicht anwesend war. Doch mit Entsetzen erkannte sie Schaich Abdul, ziemlich in ihrer Nähe auf einem bequemen Sitzkissen thronend und neben ihm mit finsterem Gesicht seinen unheimlichen Diener. Sein Name war Rasul, das hatte Lena von Merit inzwischen erfahren. Lena hatte sich gefragt, warum nach ihrer Entführung ...
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